Silvester 2023

Wunderkerze bei Nacht

Und wieder geht ein Jahr zuende, in dem „Lebenszeit” unmittelbar und ungeschützt auf „Weltzeit” (Hans Blumenberg) traf. Ein Jahr der geopolitischen Zeitenwende, das doch eigentlich ein Jahr der klimapolitischen Wendezeit hätte sein müssen. Kirchlich gesprochen ging es um den Scheideweg zwischen Klerikalismus und Synodalität. Die Krisen unserer Zeit haben sich auch in die persönlichen Erinnerungsbilder dieses Jahres eingeschrieben: Weltpolitik trifft Tschurtschenthalerstraße. Der Name meines alten Berliner Theorieladens trifft das entsprechende Lebensgefühl: „Buchladen zur schwankenden Weltkugel“.

Im Leben angekommen

2023 war aber nicht nur in der großen, sondern auch in unserer kleinen Welt ein bewegtes Jahr. Alexandra und ich haben unsere fünfzigsten Geburtstage gefeiert. Den ersten mit winterlichem Glanz in einer Bregenzer Brasserie, den zweiten in einem sommerlichen Loft in GoHo/Nürnberg. Und mit einer Festschrift, von der ich dachte, dass so etwas nur ältere Herren bekommen. Wir sind nun irgendwie etabliert und in den sog. „besten Jahren“. Im Leben angekommen. Auch wenn es unsere (in ihrer Differenz sehr typischen) Lieblings-Teesorten schon nicht mehr gibt: „Sicherer Halt” (Alexandra) und „Freier Geist” (Christian).

Energie des Neubeginns

2023 war auch ein Jahr großer familiärer Veränderungen. Es gab viel gute Energie des Neubeginns. Unsere Tochter hat mit dem Übertritt in die Oberstufe auch die Schule gewechselt. Und unser Sohn wurde dort in seinem letzten Jahr zum Schulsprecher gewählt. Beide haben Silvester heute zum ersten Mal außer Haus gefeiert. Alexandra hat – neben ihrem diözesanen Hauptjob als Ausbildungsleiterin für Laientheolog:innen – nach vier Jahren ihre Coaching- und Supervisions-Ausbildung abgeschlossen und wird im neuen Jahr eine weitere Ausbildung zur Organisationsberaterin beginnen. Das Praxistürschild hängt schon bald und eine neue Website geht demnächst online. Motto: Momo für alle!

Nicht kampflos

Ich selbst habe nach elf Jahren in Innsbruck (mit der für einen Theologen schönsten Dienstadresse der Welt: Karl-Rahner-Platz 1) die Universität gewechselt (eine schwere, aber gute Entscheidung) und durfte 2023 an gleich drei renommierten Orten der Theologie sprechen: Antrittsvorlesung in Münster, Certeau-Tagung an der Päpstlichen Gregoriana in Rom und auf den Löwener „Encounters in Systematic Theology”. Und auch von mir gibt es eine neue Website („Ohne Theorie keine Revolution”). Überhaupt war 2023 für mich persönlich ein gutes Jahr. Der runde Geburtstag motivierte dazu, das unleugbare Älterwerden nicht kampflos hinzunehmen. Inzwischen habe ich – Danke, Lukas – mein Idealgewicht wieder und war in acht Städten bei McFit (die zehn habe ich leider nicht geschafft 😉).

Lernkurve im positiven Bereich

Das vergangene Jahr brachte unzählige inspirierende Begegnungen und spannende Forschungsprojekte (Konversionsflächen, Zweites Vatikanum). In Münster habe ich mit Elisa Prkačin und Christian Kern ein veritables Assistent:innen-Dreamteam und mit Annett Jansen eine fantastische Mitarbeiterin, für welche die Bezeichnung Sekretärin eine massive Untertreibung wäre. Studierende, Doktorand:innen und Habilitand:innen halten meine Lernkurve im positiven Bereich – und ich durfte sogar bei der Antrittsvorlesung von Christian Preidel dabei sein, meinem ersten ‚Schüler‘ auf einem eigenen Lehrstuhl. Nur ein Vorhaben, das wir für unser Geburtstagsjahr hatten, ist – zumindest bei mir – leider viel zu kurz gekommen: möglichst viele alte Freund:innen zu treffen. Mein Vorsatz für 2024!

Kraft zur Veränderung?

Im vergangenen Jahr waren wir als Familie auch wieder viel auf Reisen (neben all den dienstlichen Fahrten): Städtetrips nach Hamburg, Rotterdam und Berlin. Heimaturlaub in Wiesenbronn. Und Sommerurlaub in Tropea. Aber irgendwie ist ja ohnehin alles eine große Reise. Und die Hoffnung bleibt, dass auch im neuen Jahr fremder Boden trägt – und zwar auch wenn wir gesellschaftlich in einer dramatischen Zeitenwende leben, die doch eigentlich eine klimatische Wendezeit sein müsste. Und auch wenn die Kirche noch immer keine wirklich synodale Weggefährt:innenschaft der Nachfolge Jesu, sondern ein ziemlich klerikaler Machtclub ist. Woraus im neuen Jahr wohl die Kraft zur notwendigen Veränderung erwächst?