Theo-Blog als diskursives Tagebuch. Öffentliche Theologie. Es ist mir wichtig, mit ‚meiner‘ Theologie im Netz präsent zu sein: auf der offiziellen Universitätshomepage, mit Posts auf Instagram (für die Jüngeren) und auf Facebook (für die Älteren), mit Erklärvideos zu Themen wie Genderfragen, Kirchendemokratie oder Heimatdiskursen und Interviews („Auf ein Bier mit…“) mit nachdenklichen Snowboardprofis, protestierenden Ordensfrauen oder theologiestudierenden Kasinocroupiers auf Youtube („Theologie am Andersort“).
Theologie im Wohnzimmer
Und nun auch mit dieser neuen Website, die Theologisches mit Persönlichem verbindet. Stefan Weigand von der Agentur Wunderlich & Weigand, mit dem ich sie zusammen entwickelt habe, sagt gerne: Etwas auf eine Homepage („Heim-Seite“) ins Netz zu stellen, heißt jemanden in sein Wohnzimmer (aber nicht ins Schlafzimmer) einzuladen. Persönliches (aber nicht Privates) öffentlich zu teilen. Das ist nicht nur ein intellektuelles, sondern auch ein existenzielles Abenteuer. Und das heißt, dass es auch jederzeit scheitern kann. Manchmal ist es heikel, oftmals unterhaltsam – immer aber notwendig.
Denn noch die ‚wissenschaftlichste‘ Universitätstheologie ist ein „situiertes Wissen“ (Donna Harraway), das ohne seine konstitutive (und nicht nur applikative) Verwobenheit mit historisch kontingenten Biografien und Kontexten nicht zu denken wäre. Oder wie ich es in meiner Münsteraner Antrittsvorlesung gesagt habe: Sie entsteht nicht nur am Schreibtisch, sondern auch am Küchentisch („Küchentischtheologie“ ist ein epistemisch passgenauer Begriff, den ich von meinen Studierenden gelernt habe).
Geschichten zeugen Geschichten
Papst Franziskus sagt: Theologie entsteht draußen, unter Leuten, auf der Straße. Oder in der Markthalle, in der Kaffeebar, im Fitnesstudio, im Stadtratsaal, im Dachgarten, im Kunstmuseum, im Spielcasino, am Protestorten, an Verkehrsschildern, im Fußballstadion, in der Sternwarte, vor Denkmälern, auf dem Wochenmarkt und eben auch im eigenen Wohnzimmer – an den alltäglichen Orten eines geteilten Lebens also. Dort, wo man nicht nur so zuhören (Nelle Morton: „Hearing to speech“), sondern auch so erzählen kann, dass andere in ihre eigene Geschichte finden. Denn: Geschichten zeugen Geschichten.
Ich möchte Sie mit dieser Website gerne in mein digitales Wohnzimmer einladen und mit Ihnen (je nach Geschmack und Tageszeit) bei einem Kaffee oder Tee, Bier oder Whiskey über Gott und die Welt reden. Über Menschen und Mächte und das kleine Glück in dieser Zeit. Über die Mühsal der Ebene und die Kraft zur Veränderung. Kurzum: Leutetheologie treiben und ihre vielen kleinen Geschichten mit den großen Erzählungen des Christentums sowie mit den aktuellen Diskursen der Gegenwart verweben.
Große Themen an kleinen Orten
Am kleinen Ort die großen Themen verhandeln – das ist die Kunst jeder guten Theologie. Deshalb ist das Hauptwerk Karl Rahners auch nicht sein berühmter „Grundkurs des Glaubens“ (von dem er übrigens selbst gar nicht so begeistert war), sondern vielmehr seine ungleich kleinformatigeren „Schriften zur Theologie“: Gelegenheitsschriften im besten Sinn des Wortes, die sich auch einmal mit der Pfarrbücherei, der Bahnhofsmission oder dem Gespräch mit ungläubigen Verwandten beschäftigen konnten.
Im besten Fall gelingt das dann zum Beispiel auch auf Instagram, wo vor einiger Zeit eine erste Doktorandin im digitalen Raum auf mich gestoßen ist und in der Nachrichten-Funktion anfragte, ob sie bei mir promovieren könne. Oder auf Facebook, wo ich schon so manches Mal auf interessante Themen gestoßen bin und in spannende Debatten verwickelt wurde. Soziale Medien sind ein locus theologicus: ein kreativer Ort der Produktion und Rezeption von Theologie mit eigener diskursiver Autorität. Und sie bieten wichtige Impulse für eine netzpräsente Theologie im Betriebssystem Vatikanum 2.0…
Digitale christliche Weltpräsenz
Soziale Medien sind daher auch ein Teil meiner Forschung. So leite ich im Rahmen des interkontinentalen Projekts Vatican II. Legacy and Mandate eine Kommentargruppe zu Inter mirifica, dem Dekret des Zweiten Vatikanums über die sozialen Kommunikationsmittel. Es lohnt sich, diesen sechzig Jahre alten Konzilstext in einer digitalen Welt kontextuell neu zu lesen – in einem erneuten „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Jürgen Habermas), der zu einer weltgesellschaftlichen „Prise de parole“ (Michel de Certeau) führt: zu einer transformativen Diskursverlagerung vom Analogen ins Digitale, globalisiert durch das Internet und individualisiert durch das Smartphone.
Theologische Netzpräsenz ist für mich aber (konzilstheologisch gesprochen) insgesamt weniger eine Frage von Inter mirifica (dem bereits genannten Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel) als vielmehr von Gaudium et spes (der gesamtpastoral zentralen Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute) – eine Frage von christlicher Weltpräsenz unter den Zeichen der Zeit: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger:innen Christi.“ (GS 1).
Klerikal oder synodal?
Deswegen hat Kurienbischof Paul Tighe, ein Pionier weltkirchlicher Netzpräsenz, auch recht, wenn er auf die wohlmeinende Bemerkung von Kirchenleuten „Schön, dass Du an die Peripherien gehst“ antwortet: „Nein, ich gehe ins Zentrum“ – nämlich in das Zentrum einer digitalen Welt, in welcher die Kirche nur noch eine Randerscheinung ist. Es ist wie mit der Rede von den pastoralen ‚Andersorten‘, die vor allem die fehlende Inkulturation einer Kirche anzeigen, die Tattoostudios, Fußballstadien oder Bahnhöfe als solche bezeichnet. Dort wie auch im Internet geht es um „Präsenz, nicht um Neuevangelisierung“. Statt klerikalistisch-missionarischer Hintergedanken braucht es die synodal-umkehrbereite Offenheit von „mitpilgernden Weggefährtinnen“. Denn: „Wir teilen dieselbe Lebensreise.”