Solange Pessoa

Solange Pessoa

Kurztrip nach Bregenz. Wieder einmal: Weite des Sees nach der Enge der Berge. Pfiffiges Vorarlberg. S’Ländle. Wieder essen in der Brasserie einer Freundin. Und auch wieder: Kunsthaus Bregenz. Diesmal mit einer fantastischen Ausstellung der brasilianischen Künstlerin Solange Pessoa (geb. 1961 in Ferros). Zuletzt hatten wir hier die großartige Otobong Nkanga („Unearthed“) gesehen. Auf Feinschwarz.net hatte ich davon berichtet.

Spiritualität im Material turn

Nun also Pessoa: Organisches, Lebendigkeit, Bewegung, Zusammenhang, Verbundenheit – und auch hier wieder: Mutter Erde. Bruno Latour würde sagen: Terrestrisch. Spiritualität im „Material turn“. Verwandtschaft mit der italienischen „Arte povera“, und doch ganz eigen. Unterschiedliche, aber zusammenhängende Räume auf vier Ebenen. Titel des Ganzen, ganz schlicht und einfach: „Solange Pessoa“.

Bronze, kurz vor der Aushärtung

Im ersten Raum zeigt ein Video in Dauerschleife verflüssigte Bronze während der Aushärtung. Farben zwischen glühendem Orange und bläulichem Metall. Starke, einfache Formen. Reduzierte Wirklichkeit. Weltprozess der Schöpfung. Materialtät. Pure, diaphane Materialität tritt ins Dazwischen, geht an die Schwelle. Übergänge zwischen lavaesk und flüssig bzw. kalt und fest. Momente, in denen noch alles möglich ist. Noch ist nichts ausgehärtet. Potenzialiät ihm „ehernen Gehäuse“ (Max Weber) der Welt.  

Archiv der Dinge

Und dann die diskursive Überwältigung im zweiten Raum: Trockene Erde, die staubige Schuhe macht, und das, was Solange Pessoa ein „unendliches Archiv“ der Dinge nennt. Regale der Erinnerung im Staub des Vergessens. Darin, aufbewahrt in Jutesäcken: Dinge statt Bücher. Und wenn Bücher, dann als herausgerissene Seiten. Utopie des absoluten Archivs. Entgrenztes Erinnern an alle und an alles – aufbewahrt in Speichersäcken, wider das große Vergessen. Crossing von Praxisfeld und Diskursarchiv. Keine Trennung zwischen Natur und Kultur. Umberto Eco trifft Anselm Kiefer. Nichts verloren geben. Alles ist wertvoll. Und vergänglich. Und wertvoll. Postkolonial. Und Demokratisch: Es gibt auch leere Säcke. Jede:r kann hier etwas aufbewahren. Mohn und Gedächtnis.

Formenpracht in Schwarzweiß

Im dritten Raum schließlich: keine Resonanz. Auch das kann und darf sein. Also weiter ins oberste Stockwerk. Vierter Raum. Dort bio- und zoomorphe Formenpracht in Schwarzweiß. Üppig wie der Urwald. Und der brasilianische Barock. Popartig. Tänzerisch. Leicht und schwer zugleich. Kraftvoll. Leben in Hülle und Fülle. Vielfalt. Und ein Baum aus Federn, der nicht in der Erde wurzelt, sondern im Himmel festgemacht ist. Das alles kontrastiert ganz wunderbar mit der aus sich heraus leuchtenden, komplett auf Form und Licht reduzierten, fast schon metaphysisch durchscheinenden Architektur Peter Zumthors.