Semiotik

Die Zeitschrift für Pastoraltheologie ist eine feine Sache. Man bekommt dort frische, handgefertigte praktisch-theologische Diskursprodukte freihaus: sofort und kostenfrei zugänglich als digitale Open-Access-Publikation. Die vor kurzem veröffentlichte neueste Ausgabe der ZPTh widmet sich „Referenztheorien der Pastoraltheologie“ – das Thema unseres letzten Symposions 2022 in Bochum.

Pastoraltheologie hat nämlich ein Theorieproblem. Seit ihrer Gründung vor fast genau 250 Jahren steht sie als notorisch begründungsschwaches Fach unter epistemischem Rechtfertigungsdruck: „Alles hängt davon ab, ob es ihr gelingt, über bloße Intuition hinauszugelangen, m.a.W. der Wissenschaftscharakter der Praktischen Theologie entscheidet sich beim Methodenproblem“ – so Rolf Zerfaß im Jahr 1974 zu ihrem 200. Geburtstag.

Leistungsfähige Metatheorie

Auf der Suche nach einer leistungsfähigen Metatheorie, die zur Lösung des epistemologischen Problems der Pastoraltheologie geeignet ist, kann man unter anderem in der US-Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts fündig werden – genauer gesagt bei Charles Sanders Peirce (1839–1914), einem veritablen Universalgenie der jüngeren Philosophiegeschichte.

Von ihm handelt auch mein Beitrag in der neuen ZPTh-Ausgabe. Er ist für die Praktische Theologie vor allem wegen dreier Theorieelemente wichtig, die sich mit dem klassischen Dreischritt „Sehen, Urteilen, Handeln“ verbinden lassen: Semiotik („Sehen“), Abduktion („Urteilen) und Pragmatizismus („Handeln“).

Achtung, spätestens jetzt wird es so richtig nerdy:

Als einer von zwei Vätern der SEMIOTIK entwickelte Peirce eine komplexe Zeichentheorie. Zugleich machte er mit der ABDUKTION eine Logik des schöpferisch Neuen wissenschaftlich diskursivierbar. Und er verband diese mit dem menschlichen Handeln – was ihn ebenso zum Vater des US-Pragmatismus macht, den er jedoch PRAGMATIZISMUS nannte („hässlich genug, um vor Kindesräubern sicher zu sein“).

Für mich: Sanders Peirce

Erstmals begegnet bin ich ihm Ende der 1990er-Jahre bei Hans-Joachim Sander in Würzburg. Charles Sanders Peirce war für mich von Beginn an Sanders Peirce. Er hat lieferte dann auch die Grundmethode für meine bei Rolf Zerfaß entstandene Diplomarbeit („Arbeiterpriester und Citykirche“).

Während meiner Zeit am Berliner Chenu-Institut habe ich dann schließlich an der TU Berlin vier Semester lang Semiotik studiert. Und auch in meiner bei Ottmar Fuchs entstandenen Dissertation („Ortswechsel der Theologie“) spielt die Semiotik von Peirce ebenso eine wichtige Rolle wie in meiner bei Rainer Bucher entstandenen Habilitationsschrift („Konstellative Pastoraltheologie“).

Mit Peirce lässt sich sagen:

Pastoraltheologie – als theologische Diskursivierung der potenziell kreativen Differenz von Praxisfeldern der Gegenwart und Diskursarchiven der Vergangenheit – beschäftigt sich mit jeder nur denkbaren Art von (nicht-)sprachlichen Zeichen (=> Semiotik), die sie mit Blick auf ihren jeweiligen Handlungswert (=> Pragmatizismus) theologisch diskursiviert, um ihr schöpferisches Potenzial (=> Abduktion) für die Pastoral zu heben.

Theologisches Diskursmodell

Dieser komplexe Gesamtzusammenhang lässt sich in einem einfachen theologischen Diskursmodell abbilden (siehe Beitragsbild): Subjekte tauschen sich durch ZEICHEN intersubjektiv über Objekte aus. Dabei entsteht eine Konstellation spezifischer Zeichenwelten von Praxisfeld und Diskursarchiv, die sich mit Peirce sowohl PRAGMATIZISTISCH als auch ABDUKTIV rekonstruieren lässt.

Pragmatizistisch geht es um eine wechselseitige Bewährung von feldgenerierten Zeichen im Diskursarchiv und von archivgenerierten Zeichen auf dem Praxisfeld. Die erste Bewährungsprobe (von Zeichen des Feldes im Archiv) lässt sich formallogisch deduktiv und die zweite (von Zeichen des Archivs auf dem Feld) induktiv fassen.

Richtig spannend wird es jedoch, wenn sich in der kreativen Differenz beider (im Sinne einer wechselseitigen Gleichstufigkeit von Feld und Archiv) abduktiv Neues ergibt und eine endlose Zeichenkette entsteht, in der Zeichen von Zeichen von Zeichen … etc. ausgebildet werden – im Sinne einer unendlichen Semiose, die den Diskurs „ad infinitum“ (Charles S. Peirce) eschatologisch offenhält…