Robert Barron

Die USA erleben gerade einen „Catholic moment“ (Massimo Faggioli). In diesem erlangt ein ebenso ressourcenreicher wie durchsetzungsstarker Rechtskatholizismus in religionspolitischer Hinsicht „kulturelle Hegemonie“ (Antonio Gramsci). Siehe etwa die Einlassungen von Vizepräsident Vance zum augustinischen Konzept des Ordo amoris, das ostentativ zur Schau gestellte Aschenkreuz von Außenminister Rubio oder die Kreuzzugs-Tätowierungen („Deus vult“) von Verteidigungsminister Hegseth. Aufgrund seiner ideologischen Nähe zu entsprechend identitären und autoritären, homophoben und misogynen, tribalistischen und xenophoben Politiken, ist die umstrittene Gestalt von Bischof Robert Barron, der in Kirche und Gesellschaft eine strikt rechtskatholische Agenda verfolgt und auf komplexe theologische Fragen populistisch einfache Antworten gibt, in diesen größeren Kontext einzuordnen.

Trump-naher Rechtskatholizismus

Bischof Barron ist ein multimedial präsenter Vertreter der neuen politischen Dominanz des Katholischen unter US-Präsident Donald Trump. Dessen jüngste Rede zur Lage der Nation kommentierte er am 5. März 2025 mit den Worten, er sei in höchstem Maße „delighted“. Einzig die Demokraten hätten die „political liturgy“ der Feier nicht angemessen gewürdigt. Barrons Trump-freundlicher Neotraditionalismus grenzt sich vom – in seiner Menschenfeindlichkeit zutiefst unjesuanischen – „Christian Nationalism“ (John Caputo) der MAGA-Bewegung Trumps nicht nur kaum ab, sondern nimmt diesen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Cultural wars in den Vereinigten Staaten mit mehr als nur klammheimlicher Genugtuung auch billigend in Kauf. Bisweilen begrüßt er dessen Politik sogar explizit, so z. B. am 30. Januar 2025 im Fall des (Anti-)Transgender-Erlasses von Präsident Trump. Barron sucht das Gespräch mit rechten Influencer:innen wie Ben Shapiro oder Jordan Peterson und bietet ihnen regemäßig eine mediale Bühne. Trump selbst berief ihn am 1. Mai 2025 in eine neu eingerichtete Regierungskommission zum Schutz der religiösen Freiheit.

Globale Medienmacht

Als ebenso resonanzstarke wie machtbewusste Stimme des zunehmend auch außerhalb der Vereinigten Staaten einflussreichen US-Rechtskatholizismus führt Barron mit seiner vor 25 Jahren gegründeten Word on Fire Fondation ein global agierendes Verkündigungsunternehmen mit immensen Finanzressourcen, dessen Medienmacht er zur internationalen Verbreitung seiner (kirchen-)politisch extrem konservativen Positionen nutzt. Auf Facebook folgen ihm 3 Millionen, auf YouTube 2,04 Millionen und auf Instagram 567.000 Menschen. Die meisten Theologiestudent:innen weltweit dürften eher Robert Barron aus eigener Lektüre kennen als Karl Rahner. Und auch zahlreiche junge pastorale Mitarbeiter:innen hierzulande verwenden inzwischen offenbar vor allem zwei Quellen zur Predigtvorbereitung: ChatGPT und Word on Fire. Der durch Bischof Barron verkörperte US-Rechtskatholizismus verfügt sogar über eine strategisch angelegte Weltkirchenpolitik. So versuchte das Sophia Institute vor kurzem mit seinem College of Cardinals Report, direkt die jüngste Papstwahl zu beeinflussen. Barron selbst scheint auch sehr gute Kontakte zum deutschsprachigen Rechtskatholizismus zu haben. Johannes Hartl schreibt Vorworte zu seinen Büchern. Stefan Oster, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Karl Wallner kommen im Rahmen der Verleihung des Pieper-Preises nach Münster.

Politische Theologie

Als prominentes Gesicht des internationalen Rechtskatholizismus steht Bischof Barron auch für eine zunehmende Polarisierung innerhalb der Kirche. In ihrem scharfkantigen Freund-Feind-Denken erinnert seine (kirchen-)politische Theologie eher an den totalitären Dezisionismus eines Carl Schmitt als an die jesuanische Compassion von Johann B. Metz. Politik als ‚homophile‘ Freundschaft unter Gleichen, deren Homogenität zur erbitterten Feindschaft mit Verschiedenen führt: Dissoziationen von rechts statt Assoziationen der Mitte. Barron ist kein Vertreter eines gemäßigten Middle-of-the-road-Katholizismus jenseits politischer Extreme, wie ihn Papst Leo XIV. mit seiner innerkirchliche Friedensagenda verkörpert. Am 7. Juni 2025 konterkarierte er diese sogar explizit mit folgender – eines Bischofs (und seines Dienstes an der Einheit) unwürdigen – Aussage, die reichlich Öl in das Feuer kirchlicher Polarisierungen gießt: „It frankly delights me to see how I obviously haunt the fevered imaginations of those on the extreme Catholic left” (der damit gemeinte Journalist Michael Sean Winters ist sicherlich kein linksradikaler Katholik).

Asymmetrische Tribalisierung

Barron repräsentiert damit eine zunehmende Tribalisierung der Kirche. Das eine Volk Gottes droht in seine zwölf Stämme (engl. tribes) zu zerfallen – und zwar in einer Weise, die für weltsynodale Prozesse zum Problem wird, weil sie aus innerkirchlichen Gegnern kirchenpolitische Feinde macht. Diese manifeste Tribalisierung findet jedoch nicht in symmetrischer Weise auf beiden Seiten des Spektrums statt (analog zur widerlegten ‚Hufeisentheorie‘ in der Politik). Es ist vielmehr auf rechtskatholischer Seite eine asymmetrische Tribalisierung zu beobachten („My-tribe-Ideology“), die sich synodalen Prozessen jeder Verständigung verweigert. Gott ist aber kein Stammesgötze – und kein einzelner Stamm seines Volkes kann sich mit dem großem Ganzen identifizieren. Auch in der Kirche trifft man jedoch auf harte Rechte mit einer geschlossenen, identitären und autoritären Weltsicht, mit denen man nicht nur nicht einfach, sondern auch einfach nicht reden kann. Und denen gegenüber kein (kirchen-)politisch naiver „Fehlschluss der goldenen Mitte“ (Daniel-Pascal Zorn) angebracht ist, sondern vielmehr eine robuste Treue zum eigenen offenen, alteritären und egalitären Weg der Nachfolge Jesu. Bischof Barron scheint einer von ihnen zu sein.

Geistliches Defizit

Diese kirchenpolitische Disbalance hat auch Konsequenzen für Barrons Positionierungen im synodalen Reformprozess der Kirche. Denn mit der genannten asymmetrischen Tribalisierung korrespondiert ein grundlegendes geistliches Defizit am rechten Kirchenrand. Eine prinzipiell dialogfähige Haltung, die für jede Form von synodaler Kirchlichkeit unerlässlich ist, erfordert nämlich eine geistliche Reife, die in der Fähigkeit zu reflexiver Selbstdifferenz gründet: Ich kann mich zu mir selbst noch einmal verhalten. Und ich kann Gott größer sein lassen als die Grenzen meines kirchlichen ‚Stammes‘. Zu dieser synodal notwendigen Selbstrelativierung des Eigenen mit Blick auf ein größeres plurales Ganzes („Deus semper maior“), zu der auch ein Verzicht auf absolute Wahrheitsansprüche in Bezug auf die eigene kirchliche Position gehört, sind leider nicht alle katholischen Mindsets imstande. Die Bereitschaft dazu bringen rechtskatholische Meinungsführer:innen wie Bischof Barron leider nur selten mit. Über dieses spirituelle Manko kann auch das von ihm angeregte „National Eucharistic Revival“ (2022-2025) in den USA nicht hinwegtäuschen.

Verkannte Systemursachen

Ebenso wenig erkennen prononcierte Rechtskatholik:innen die tieferen Gründe der von Papst Franziskus angestoßenen Kirchenreformen, die in einer Bearbeitung von systemischen Ursachen der Missbrauchskrise auf dem synodalen Weg einer entschlossenen pastoralen Selbstbekehrung („conversión pastoral“) bestehen. Barron negiert diesen integralen Zusammenhang von Missbrauch, Klerikalismus und Synodalität. Stattdessen vertrat er am 2. Juni 2025 – wie bereits Joseph Ratzingerin einer Stellungnahme 2019 – in einem Gespräch mit dem Trump-nahen Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson die längst historisch widerlegte Behauptung, die sexuelle Revolution der 1960er Jahre sei für den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker verantwortlich: „Friends, it’s no coincidence that the Church’s sex abuse scandals spiked during the sexual revolution.” Regina Heyder reagierte darauf auf Facebook völlig zurecht mit einer Lesempfehlung zum sexuellen Missbrauch im Mittelalter (vgl. Dyan Elliott: The Corrupter of Boys. Sodomy, Scandal, and the Medieval Clergy, Philadelphia 2020) sowie auf die ungleich höheren Missbrauchszahlen, die jeder deutschsprachige Missbrauchsbericht für die 1950er Jahre ausweist.

Problematisches Missionskonzept

Barron vertritt ein „katholikales“ (Karl Gabriel), d.h. im Innen klerikales und nach Außen koloniales Missionskonzept, das sich im Horizont von geistlichem Missbrauch als manipulativ und quasi-fundamentalistisch beschreiben lässt. Verkündigung versteht er als eine pastorale Einbahnstraße, was de facto hinter der Lehre des Zweiten Vatikanums zurückbleibt – auch wenn er dessen Lehrautorität nicht wie klassische Traditionalist:innen negiert. Er steht dem von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. vertretenen Konzept der „Neuevangelisierung“ (als missionarische Rechristianisierung des Westens) näher als zu dem von Paul VI. und Franziskus vertretenen Konzept der Evangelisierung (als zeugnishafte Selbstbekehrung der Kirche). Papst Leo XIV. hat sich 7. Juni 2025 dazu bereits eindeutig positioniert: „Die Evangelisierung […] ist keine menschliche Bezwingung der Welt, sondern die unendliche Gnade, die sich vom Leben derer her ausbreitet, die sich vom Reich Gottes verwandeln ließen. […] Um Jesus auf diesem von ihm gewählten Weg zu folgen, braucht es keine mächtigen Unterstützer, keine weltlichen Kompromisse, keine emotionalen Strategien.“

Einseitige Theologie

Im theologischen Subtext seiner Positionen stellt sich Barron nicht explizit gegen das Zweite Vatikanum. Vielmehr vertritt er auf „epistemopolitisch“ (Judith Gruber) smarte Weise eine ähnlich einseitige Konzilsauslegung wie Joseph Ratzinger („Hermeneutik der Kontinuität“). Um den „theological liberalism“ seiner eigenen nachkonziliaren Ausbildung zu überwinden, gründete er 2024 – in überkonfessioneller Nähe zur anglikanischen Bewegung Radical Orthodoxy – die Zeitschrift „New Ressourcement“: Patristik als Heilmittel für eine degenerierte Theologie. Dieser Rückgriff auf vormoderne Theologieformate mit antimodernen Zielsetzungen steht für eine halbierte Rezeption der vorkonziliaren „Nouvelle théologie“. Denn er greift lediglich auf den spirituellen Augustinismus ihres konservativen Jesuitenflügels zurück, der nach dem Konzil die Zeitschrift Communio mitgründete, nicht aber auf den kontextuellen Thomismus ihres progressiven Dominikanerflügels, der noch während des Konzils die Zeitschrift Concilium mitgegründete – eine theologische Schlagseite mit (kirchen)politischen Folgen. Barron steht Henri de Lubac SJ deutlich näher als M.-Dominique Chenu OP, deren Geister sich nach dem Konzil u. a. im Konflikt um die Befreiungstheologie bzw. die Kirchliche Soziallehre schieden – auf letztere verwies Barrons Sprecher kürzlich im Kontext einer kritischen Anfrage des SPIEGEL zur Verteidigung von dessen politischen Ansichten: „Bischof Barron bekennt sich zur katholischen Soziallehre“.

Theologische Gegenkräfte

Bereits 2002 hatte Philipp Jenkins in seinem Buch The Next Christendom darauf hingewiesen, dass in der Konjunktur evangelikaler bzw. katholikaler Christlichkeit die europäische Art einer kritisch-skeptischen, deswegen aber auch spätmodern gegenwartsfähigen christlichen Zeitgenossenschaft eine globale Minderheit darstellt. Angesichts des nicht nur in den USA erstarkenden Rechtskatholizismus fragt es sich daher, welche theologischen Gegenkräfte sich weltweit, aber auch in Europa finden und bündeln lassen – ohne dabei derselben identitären Versuchung zu erliegen wie die genannten Rechtskatholik:innen (d.h. ohne in reaktiver Selbstfundamentalisierung einen komplementär gegengleichen Linkskatholizismus vertreten). Es braucht z. B. ein internationales Netzwerk führender Katholisch-theologischer Fakultäten, das dem neotraditionalistischen Rechtskatholizismus eines Robert Barron etwas theologisch Anderes entgegensetzt: das kritische Gegengewicht einer reformorientierten, d.h. offenen und solidarischen Katholizität. Das Münsteraner Erbe einer Politischen Theologie à la Johann B. Metz jedenfalls verpflichtet.