Pastoralreferent:innen

Im vergangenen Jahr bin ich fünfzig Jahre alt geworden – genauso alt also wie Ihre Trierer Berufsgruppe heuer. Mit Fünfzig ist man in den sogenannten ‚besten Jahren‘. Im Leben angekommen und irgendwie etabliert. Mit Blick auf Ihre Berufsgruppe sei ergänzend hinzufügt: etabliert, aber eben doch auch gefährdet. Gefährdet als das schwächste Glied der kirchlichen Ämterkette. Gefährdet von der eigenen Verletzbarkeit in einem noch immer vulneranten Kirchensystem. Und damit auch immer mehr gefährdet vom zunehmenden kirchlichen Nachwuchsmangel: Wer von den jungen Leuten heute möchte sich das schon antun? Mitgefangen, mitgehangen.

Etwas Verrücktes tun

Für mich war der 50. Geburtstag ein Anlass, innezuhalten und mein Leben umzustellen. Zuerst die Ernährung, dann aber auch den ganzen Rest. Ich mache jetzt wieder mehr Sport und fühle mich endlich wieder wohl in meiner Haut. Davor war ich ziemlich unzufrieden mit meiner damaligen Arbeits- und Lebenssituation und stand kurz vor dem Burnout. Dann habe ich etwas ziemlich Verrücktes getan: Ich habe einen Ruf nach Münster angenommen und mich auf das Abenteuer eingelassen, für die nächsten Jahre von meinem Wohnort Innsbruck aus dorthin zu pendeln. Und nun spüre ich sie endlich wieder: meine eigene Lebenskraft.

Meine Kinder sagen, ich hätte seitdem einen ziemlichen Sporttick und sei überhaupt ganz eindeutig in der Midlifecrisis. Ich aber sage: Das stimmt nicht. Denn ich habe sie auf diese Weise überwunden. Ich habe das Gefühl, nach Jahren der Entfremdung endlich wieder lebendig zu sein. Dass mein Leben nach einer Zeit des Stillstands wieder neu spannend geworden ist, irgendwie wieder in Gang kommt und weitergeht.

Zwischen Burnbout und neuer Kraft?

Und Sie? Wo stehen Sie zu Ihrem 50. Geburtstag als Berufsgruppe, aber auch ganz persönlich? Wo ist – hier und heute – Ihr Platz zwischen Burnout und neuer Kraft? Vielleicht kann es ja auch Ihnen gelingen, sich wieder neu auf ihre eigene schöpferische Lebenskraft zu besinnen und vielleicht sogar (zumindest hin und wieder) etwas Verrücktes zu tun. Denn so Astrid Lindgren in Die Brüder Löwenherz: „Manchmal muss man etwas Gefährliches tun, weil man sonst kein Mensch mehr ist, sondern nur ein Häuflein Dreck.“

Ich habe bei unseren Vorgesprächen viel Frust und Verletzung gehört – und, ja, es stimmt: diese Kirche ist ein hochgradig verletzendes System. Das gilt es ernstzunehmen. Ich wollte heute daher weder als miesepetriger Frustverstärker noch als blauäugiger Hallelujaschlumpf auftreten, sondern Ihnen ein paar theologische Lockerungsübungen anbieten – entkrampfende Geistesexerzitien für kirchliche Verspannungszustände. Denn es ist ja, so Bernhard Spielberg kürzlich in einer wunderbaren Kurzformel, die Aufgabe der Pastoraltheologie, Menschen auf andere Gedanken zu bringen. Damit ist all das Negative nicht verschwunden – aber depotenziert: es hat nicht mehr so viel Macht über mich.

Pionier:innen einer anderen Pastoral

Als nichtgeweihte Amtsträger*innen unterlaufen Sie herkömmliche kirchenamtliche Binaritäten wie die überkommene Klerus-Laien-Differenz. Sie überschreiten diese in Richtung einer neuen pluralen Ämterordnung und verkörpern ein schöpferisches Drittes, das die tradierten ämtertheologischen Verhältnisse uns Tanzen bringt. Ich feiere es, dass es Sie auch hier in Trier seit nunmehr fünfzig Jahren gibt!

Denn als Pionier:innen einer „noch nicht gewussten Kirche“ (Elke Langhammer) prägen Sie schon jetzt eine andere Pastoral, indem Sie Liturgien vorstehen und Gemeinden leiten, mit Geflüchteten arbeiten und Predigten halten. Sie begleiten junge, mittelalte und alte Menschen in Pfarrgemeinden, Klinikseelsorge und anderswo. Sie veranstalten Surfexerzitien (wie Esther Göbel in Berlin), stellen Kirchenbänke in Parkanlagen (wie Susanne Rohner in Bamberg) und öffnen Kirchen in den Stadtteil hinein (wie Andréas Hofstetter-Straka in Stuttgart).

Amtgewordene Identitätskrise

Und Sie sind die amtgewordene nachkonziliare Identitätskrise unserer Kirche. Jede Generation hat ihre eigene Berufsprofildebatte. Und jede und jeder Einzelne von Ihnen muss permanent strukturelle Defizite in seiner bzw. ihrer eigenen Person ausgleichen. 50 Jahre ämtertheologische Profilprobleme – das macht Sie geradezu zu Expert:innen für die kollektive Identitätskrise einer zunehmend verunsicherten Kirche.

Das ist jedoch kein Grund für überhebliche Selbstzufriedenheit. Denn wie mein Fach, die Pastoraltheologie, so trägt auch ihre Berufsgruppe die potenziell missbrauchsgefährdete Hirtenmetapher als toxische Mitgift sogar im eigenen Namen: auch Pastoralreferent:innen können Klerikalismus. Wie die gesamte Kirche, so ist auch Ihre Berufsgruppe (wie übrigens auch die Theologie) zu synodaler Umkehr gerufen.

Räume erzählen Geschichte

In Bezug darauf erzählt das Raumprogramm unseres heutigen Festtages übrigens eine hoffnungsstarke Geschichte, die mir auch wie ein Zukunftsweg für unsere Kirche erscheint. Denn wir haben heute Morgen hier in der barocken Pracht dieses Promotionssaals im Priesterseminar begonnen. Und heute Abend werden wir dann im Robert-Schuhmann-Haus mit einer hoffentlich fröhlichen Feier in einem modernen Glassaal enden, von dem aus man einen Rundumblick auf die nächtliche Stadt hat: Kirche in der Welt von heute.

Dazu sind wir gerufen: herauszutreten aus den barocken Kulissen der Vergangenheit und hineinzugehen in die offenen Panoramen unserer bisweilen etwas struppigen, immer aber zutiefst liebenswerten Gegenwart. Dazwischen liegt ein Weg in die Tiefe, der uns allen einiges abverlangt. Konkret: ein Weg in die Untiefen der Krypta des Domes.

Kirche, aber anders

Dort gesellt sich dann – quasi am tiefsten Punkt unseres Zusammenseins – im Herrenmahl der Auferstandene selbst hinzu. IHS: Iesum habemus socium. Daran erinnert auch der jesuitisch geprägte Kontext dieses Ortes: Wir haben Jesus als Gefährten. Das gilt insbesondere dort, wo die Leichen im Keller liegen – und von wo aus man dann auch wieder ins Licht treten kann, um auf eine neue und ganz andere Weise Kirche zu sein.

In diesem Sinne (und angesichts Ihrer Nähe zu Frankreich) für die nächsten fünfzig Jahre:

Bon courage!


Festrede zur 50-Jahrfeier der Pastoralreferent:innen im Bistum Trier am 7. November 2024

Beitragsbild: Pastoralreferentin des Bistums Mainz (Rechte: Dagmar Jährling)