Wo ist eigentlich Ottmar? – Eine typische Szene. Wir sind in Indien und besichtigen gerade eine Tempelanlage. Die Gruppe muss weiter. Nur einer fehlt: Ottmar Fuchs. Ausschwärmen, suchen gehen. Ich finde ihn abseits der Gruppe in einer entlegenen Ecke – die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, die Schiebermütze leicht hochgeschoben, weltvergessen in ein abgelegenes Detail vertieft.
Wo ist eigentlich Ottmar? Eine Frage, die jeder kennt, der Ottmar Fuchs kennt. Meist steckt er seine Nase dann in ein entlegenes, aber signifikantes Detail oder in ein Buch, das – noch – keine oder keiner liest. Wenn es eine explorative Epistemik des Spitzbübischen gibt, dann ist Ottmar ihre ultimative Verkörperung.
Er ist eine Inkarnation des Musing, des absichtslosen und gerade deswegen höchst erkenntnisträchtigen Herumstromerns. Nosing around – bei Ottmar Fuchs ist das eine epistemische Kunstform. Charles S. Peirce trifft Robert E. Park. Und zwar am besten dort, wo sonst keiner so genau hinschaut.
Denn es stimmt ja: Nicht nur Gott – so ein Fuchs’scher Aufsatztitel – hat einen Zug ins Detail, sondern auch Ottmar Fuchs. Er kann beides: das ganz Große und das ganz Kleine, das große Ganze und das kleine Fragment. Oder besser: das Ganze im Fragment. Mit Walter Benjamin hat er sogar eine eigene theologische Erkenntnistheorie daraus gebaut: Am Extremfall lässt sich erkennen, was allgemein der Fall ist.
Zwischen fränkischen Dorfgemeinden und südafrikanischen Townships lässt sich Ottmar Fuchs daher an vielen – manche sagen: an zu vielen – Orten zu tiefen existenziellen Solidaritäten verpflichten. Überall im sozialen Feld findet er theologische Orte („loci theologici“): Orte also, an denen sich Theologie bewähren muss („loci argumentationis“) und an denen sie auch auf neue Ideen kommt („loci inventionis“). Mit dem Zweiten Vatikanum gesprochen: Dogma und Pastoral in wechselseitig kreativer Durchdringung.
Deswegen stimmt das Tübinger Bonmot auch nur sehr bedingt, Jochen Hilberath sei der bessere Praktische und Ottmar Fuchs der bessere Systematische Theologe. Denn es ist ja nicht nur Jochen Hilberath ein herausaragender Systematischer, sondern auch Ottmar Fuchs ein exzellenter Praktischer Theologe – gerade weil er eine Praktische Dogmatik vertritt:
- eine Praktische Ekklesiologie „(Im Innersten gefährdet“),
- eine Praktische Sakramentenlehre („Immer gratis, nie umsonst“),
- eine Praktische Gnadentheologie („Wer’s glaubt, wird selig““),
- eine Praktische Gotteslehre („Der zerrissene Gott“),
- eine Praktische Eschatologie („Das Jüngste Gericht“).
Jochen Hilberath: „Fuchs hat den Traktat gestohlen, gibt ihn nicht mehr her…“
Es scheint fast so, als habe der Tübinger Gründungsvater Johann Sebastian von Drey nicht nur die pastorale Wende des Konzils vorweggenommen, sondern auch den späteren Tübinger Ottmar Fuchs vor Augen gehabt, als er in seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie schrieb, die Praktische Theologie sei „zwar nicht die angewandte, aber die umgewandte Dogmatik“.
Denn gilt ja auch mit Blick auf Ottmar Fuchs, was der große Innsbrucker Pastoraltheologe Joseph Andreas Jungmann einmal sagte: „In Fragen von großer Tragweite ist nichts praktischer als eine gute Theorie.“
Und das, liebe Ottmar, am besten noch für viele gute Jahre!