Mit am schönsten war, dass die beiden auch selbst sichtlich Spaß an der Sache hatten – beim Improtheater mit den fantastischen Schwestern in der Überzahl. Eine der theologisch genialsten (von vielen genialen) Bühnenszenen fand an zwei unterschiedlichen Orten im selben Raum statt. Dabei muss das Publikum den beiden Spielenden in zwei Durchgängen, bei denen jeweils nur eine von ihnen etwas hören konnte, möglichst gegensätzliche Orte zurufen, in denen sie dann ihre jeweiligen Rollen spielten. Die beiden „Schwestern“ entscheiden sich unabhängig voneinander für eine Höhle und ein Raumschiff. Danach interagieren sie miteinander an diesen unsichtbaren Orten ohne zu wissen, an welchem sich die jeweils andere gerade befindet. Erst am Schluss wird das aufgelöst.
Vergegnungen des Nichtverstehens
Es entstehen sehr komische Szenen. So wie im richtigen Leben: Man kann sich in derselben Kirche befinden und trotzdem an sehr verschiedenen Orten sein (z. B. in einer traditionalistischen Klerikalpfarrei und in einer jesusbewegten Basisgemeinde). Ganz nach dem Motto: Dieselbe Kirche anders leben. Nun also Höhle und Raumschiff. Die eine fliegt mit Warp 3 und einer hochprofessionellen Mann- und Frauschaft durch die Galaxien, während die anderen sich mit einer Decke umkleidet an einem Lagerfeuer wärmt. Es kommt zu wunderbaren „Vergegnungen“ (M. Bubner), die grandiose Szenen des interagierenden Sich-nicht-Verstehens im selben Raum produzieren.
Zeichen an der Wand
Wie bei Michel de Certeaus berühmtem Raumbegriff, der den sozialen Raum als einen praktizierten physischen Ort definiert – nur umgekehrt: Man kann im selben sozialen Raum an zwei verschiedenen (unsichtbaren) physischen Orten befinden. Es gilt das Pippi-Langstrumpf-Gesetz: „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt…“ Da kann die Verständigung dann schon einmal schwierig werden: „Siehst du die Zeichen an der Wand?“ fragt eine Improtheater-Schwester und hat Bilder einer steinzeitlichen Mammutjagd im Kopf – während die andere in semiotischer Differenz dazu von Schaltzeichen in der Kommandozentrale ihres Raumschiffs spricht.
Gegenwart im Plural
Was für eine großartige Metapher für Kirche und Gesellschaft: Jede:r lebt am selben physischen Ort in ihrer oder seiner eigenen Welt. In verschiedenen Glaubenswelten in der Kirche und in verschiedenen Lebenswelten in der Gesellschaft. Armin Nassehi spricht von einer Gesellschaft der (unterschiedlichen) Gegenwarten. Auf dem Tabernakel in der Kirche des Tiroler Bildungshauses St. Michael (siehe oben) ist das aus der Perspektive Gottes zu sehen: die Sanduhren dieser unübersehbar vielen, verschiedenen sozialen Gegenwarten ist nur in dessen Sphäre in synchroner Gleichzeitigkeit zu überblicken. Improtheater als theologischer Ort.
Weltenwechsel
Ausgehend von der skizierten Theaterszene, gilt mit Blick auf die alltägliche Lebenswelt: Nicht nur zwei verschiedene Menschen, sondern auch ein und dieselbe Person kann in verschiedenen Welten leben, die alle unterschiedlich Sprachcodes, Rollenzuschreibungen und Verhaltensregeln aufweisen: Wohnküche, Zugabteil, Hörsaal, Fitnessstudio, Gottesdienstraum, Waldpfad, Arztpraxis, Supermarkt, Fahrradladen, Bürgerinitiative, Szenekneipe. Je nach Ort ist man eine unterschiedliche und doch dieselbe Person. Dieser alltägliche Weltenwechsel konstituiert die jeweilige Lebenswelt für Einzelne, aber auch für Kirche und Gesellschaft: Wer bin ich – und wenn ja, wieviele?