Transformation

Markenbindung hat bei mir in mindestens fünf Fällen bestens funktioniert: Adidas für Sport, Jack Wolfskin für Outdoor, Suhrkamp für Bücher, Doppelgänger für Anzüge und BMW für Autos (auch wenn wir unseres schon vor vielen Jahren verkauft haben, mochte ich schon immer die elegante Sportlichkeit dieser Autos). BMW ist nun sehr mutig – inklusive einiger möglicher Lernchancen für aktuell notwendige kirchliche und andere gesellschaftliche Transformationsprozesse. Entsprechende Spiegelungseffekte in andere Bereiche hinein sind nicht rein zufällig. Und theologische Parallefilme zum Folgenden sind sogar ausdrücklich erwünscht!

Über seine am 5. September 2025 vorgestellte Neue Klasse schreibt der Konzern, der wie alle deutschen Autohersteller aufgrund der chinesischen Elektrokonkurrenz in der Krise steckt:

„Die Neue Klasse ist nicht einfach nur eine neue Baureihe. Sie ist eine Neudefinition dessen, was ein Fahrzeug sein kann und wie es sich in den Alltag einfügt.“

Auch in theologischer Hinsicht sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der höchst lesenswerte SPIEGEL-ONLINE-Artikel „Dieses Auto soll die deutsche Autoindustrie retten“ vom 28. August 2025. Darin heißt es über die neue, komplette elektrische und digital vernetzte Fahrzeugreihe:

„Das Unternehmen steckt weit mehr als zehn Milliarden Euro in die eigene Neuerfindung. In den anderen Konzernzentralen in Stuttgart und Wolfsburg beobachten sie genau, was passiert, wenn einer statt der gewohnten Trippelschrittchen einen großen Sprung versucht.“

Damit überspringt der Konzern einige Schritte:

„Traditionell werden Automodelle für Lebenszyklen von durchschnittlich sieben Jahren entwickelt. Und auch nicht viel weiter gedacht. Hier den Antrieb ein klein bisschen effizienter, dort das Fahrerdisplay ein bisschen weiter nach rechts. Bloß nicht zu viel Neues, vor allem für den konservativen europäischen Käufer, der es gern mag, wenn der Lichtschalter da sitzt, wo er schon immer saß. Über viele Jahrzehnte hat das gut funktioniert, so lassen sich breite Modellpaletten stabil halten.“

Die Idee zu einem Entwicklungssprung entstand im Pandemieherbst 2020. BMW nutzte die Zeit zum Nachdenken über eine sehr grundsätzliche Frage:

„Wie es weitergehen wird mit der Autoindustrie, mit BMW. Software wird immer wichtiger, um gute Autos zu bauen. Immer mehr Konsumenten […] wollen digitale Cockpits, in die Mobiltelefone nahtlos integriert sind. Elektrische Motoren werden langfristig zum wichtigsten Antrieb. In nichts davon sind die deutschen Autobauer richtig gut. […] So wie bisher kann es nicht weitergehen, das wird schnell klar in den Runden von Vorständen und Bereichsleitern, Ingenieuren und Designern. […] In diesem Coronaherbst […] treffen die BMW-Manager eine unerhörte Entscheidung: quasi einen Entwicklungszyklus zu überspringen. Ein Auto nicht für das Jahr 2025, sondern eher für das Jahr 2030 zu entwickeln.“

Ein früherer ähnlicher Versuch war gescheitert:

„Weiter nach vorn zu denken, ist nicht automatisch eine gute Idee. 2013 stellte BMW mit dem i3 eines der ersten für den Massenmarkt gedachten Elektroautos vor. Auch damals hatten die Münchner Entwickler den Auftrag, weit in die Zukunft zu denken. Zu weit für den normalen Autokäufer, wie sich herausstellte. Der i3 blieb ein Nischenmodell. Nicht zuletzt, weil das frühe E-Auto auch in einer Nische entwickelt wurde: in einem Zukunftslabor des Konzerns, abgekoppelt vom Tagesgeschäft.“

Das sollte nun bei der Neuen Klasse anders werden. Ziel war eine von allen mitgetragenene „Generalüberholung der gesamten Modellpalette“ mit einer Vielzahl technischer Neuerungen:

„Jede dieser neuen Technologien hat [der zuständige Projektleiter Mike] Reichelt sich vom gesamten Konzernvorstand absegnen lassen, in gemeinsamen Arbeitsmeetings alle sechs Wochen [….] Wenn einzelne Vorstände technisch nicht tief genug im Thema waren, wurden sie in Workshops nachgeschult. Ein ‚anspruchsvoller Prozess‘ mit ’sehr harten Diskussionen‘ […]. […] Die ‚Neue Klasse‘ dürfe kein einsames, politisch anfälliges Projekt sein, das von der Seitenlinie von mächtigen Managern torpediert werden könnte. Alle sollten verantwortlich sein. Egal wie es am Ende ausgeht.“

Das zumindest ließe sich für die anstehenden Kirchentransformationen lernen: kein Nischenprozess, sondern ein umfassender großer Sprung, der die gesamte ‚Geschäftspallette‘ betrifft – inklusive einer von allen übernommenen Verantwortung. Denn auch die römisch-katholische Kirche muss nun endlich in ähnlicher Weise mutig werden. Karl Rahner hatte einst von einem „Tutiorismus des Wagnisses“ gesprochen – davon also, dass es in manchen Situationen die sicherere Option sein kann, risikobereit ins Wagnis zu gehen.

Weil auf lange Sicht nur bestehen kann, wer bereit ist, sich zu wandeln.


Bildquelle: Fabian Kirchbauer/BMW